Landstuhl (kobinet) Karsten Lutz arbeitet seit 1997 für die Westpfalz-Werkstätten im rheinland-pfälzischen Landstuhl und wirkt dort seit 2005 im Rahmen einer Stabsstellenfunktion als Fachkraft für die betriebliche Inklusion. Was möglich ist, wenn die betriebliche Inklusion sozusagen zur Chefsache in einer Werkstatt für behinderte Menschen erklärt wird, zeigen die 88 Vermittlungen ins Budget für Arbeit seitdem dieses im Jahr 2006 in Rheinland-Pfalz gestartet wurde. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte daher folgendes Interview mit Karsten Lutz zu den Möglichkeiten und Grenzen des Budget für Arbeit.

kobinet-nachrichten: Seit 1. Januar 2018 gilt das Budget für Arbeit bundesweit. Bei Ihnen in Rheinland-Pfalz gibt es das Budget für Arbeit ja schon in seinen Anfängen seit 2006. Wie viele behinderte Menschen konnten Sie bereits in ein Budget für Arbeit vermitteln und wo arbeiten Sie genau?

Karsten Lutz: Ich arbeite seit 1997 für die Westpfalz-Werkstätten in Landstuhl (im Ökumenischen Gemeinschaftswerk Pfalz GmbH). Seit Ende 2005 arbeite ich dort in Stabsstellenfunktion als Fachkraft für betriebliche Inklusion. Nach Einführung des Budgets für Arbeit 2006 in Rheinland-Pfalz konnten wir bis heute 88 Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen ins Budget für Arbeit begleiten, aktiv davon sind derzeit noch 65 Arbeitsverhältnisse. Einige von den Budgetnehmer*innen befinden sich bereits in ihrem zweiten Arbeitsverhältnis im Rahmen des Budget für Arbeit, einzelne sogar im dritten.

kobinet-nachrichten: Welche Erfahrungen haben Sie und die behinderten Menschen, die Sie vermittelt haben, bisher mit dem Budget für Arbeit gemacht?

Karsten Lutz: Zunächst mal muss man wirklich sagen, dass die Erfahrungen mit dem Budget für Arbeit so unterschiedlich sind, wie die Menschen selbst, die es nutzen. Aber es war die erste echte Alternative zur Beschäftigung in einer WfbM. Und für uns, die wir am Arbeitsmarkt unterwegs sind, um Praktikums- und Arbeitsplätze zu suchen, war es das Instrument, das die größten „Barrieren" bei Arbeitgebern aus dem Weg räumte. Ist es auch immer noch.

Ich kann mich an unseren allerersten Budgetnehmer erinnern, der noch in 2006 seinen Arbeitsvertrag unterzeichnen konnte. Für ihn kam das Budget für Arbeit „wie gerufen" – das hat er auch immer wieder betont. Er arbeitet noch heute in diesem Betrieb. Für viele Menschen, die sich selbst nicht in der Werkstatt sehen, ist es eine Chance „normal" aber dennoch individuell unterstützt und angepasst zu arbeiten.

Zu den allermeisten Budgetnehmer*innen stehen wir immer noch in Kontakt. Bei manchen wurde die Begleitung im Budget für Arbeit nach dem 1. Jahr beendet, manche begleiteten wir bis zu 4 Jahren. Bei vielen wurden wir erneut nach einiger Zeit kontaktiert – mal durch den beschäftigenden Betrieb, mal durch die / den Budgetnehmer*in selbst oder auch durch deren Umfeld. Nicht selten war es dann hilfreich – und wurde, zumindest bisher, auch anstandslos von den hier zuständigen Kostenträgern erneut bewilligt – die Begleitung durch uns noch einmal aufzunehmen, um bei einer erneut notwendigen Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses unterstützen zu können.

Budget für Arbeit anstatt Werkstattbeschäftigung ist eine Entscheidung, die eigentlich zwischen Mensch und Betrieb getroffen wird. Die Begleitung durch die WfbM, neben der Akquise geeigneter Praktikums- und Arbeitsstellen, hat dabei eine qualifizierende, unterstützende und stabilisierende Rolle auf dem Weg dorthin. Was wir entlang unserer Erfahrung als sehr wichtig erachten, ist die gute und umfassende Aufklärung und Information der Interessenten, bevor sie ihre Entscheidung treffen – das können zum Beispiel folgende Fragen sein: Was bedeutet ein solcher Wechsel, auch perspektivisch, für zum Beispiel die Rente? Welche Kosten müssen im Budget selbst getragen werden, wie zum Beispiel Fahrtkosten und Mittagsverpflegung? Müssen, aufgrund des höheren Einkommens im Budget für Arbeit, eventuell Zuzahlungen zu sonstigen Bedarfen geleistet werden, wie zum Beispiel Hilfen zur Alltagsbewältigung oder Freizeitgestaltung? All das und noch einiges mehr sollte im Vorfeld geklärt sein, damit eine gute Basis für die Entscheidung, ob Budget oder nicht, vorliegt.

kobinet-nachrichten: Könnten Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie und wo das Budget für Arbeit gut funktioniert?

Karsten Lutz: Ich könnte wirklich von vielen guten Einzelbeispielen berichten. Von vielen mutigen Budgetnehmer*innen und ehrlich engagierten Betrieben. Das werden einige der Budgetnehmer*innen aber auch gerne selbst tun auf Ihrer neuen Seite www.budgetfuerarbeit.de! Jedes dieser Beispiele ist dabei so individuell, dass es seine eigene Geschichte schreibt.

Vielleicht darf ich hier eher, sicher nicht abschließend, ein paar Punkte benennen, die das Budget für Arbeit braucht, um gut zu funktionieren?! Denn allem voran brauchen Budgetnehmer*innen zumindest eine*n Kolleg*in, besser noch mehrere, im Betrieb vor Ort, denen die Zusammenarbeit wirklich etwas bedeutet und nicht nur Pflicht ist. Übrigens sicher ein Punkt, der für alle Arbeitnehmer*innen gilt. Eine weitere wichtige Determinante ist, dass Team und Leitung hinter der Beschäftigung des/der Budgetnehmer*in stehen müssen. Und für diese selbst dürfen Arbeitsweg und Arbeitsbelastung im Budget nicht auf Dauer eine Überforderung darstellen. Hier zuletzt genannt, jedoch ein wesentlicher Punkt: Die vom Betrieb selbst zu tragenden Kosten für den/die Budgetnehmer*innen und deren Arbeitsleistung müssen sich mittelfristig entsprechen – ein Aspekt, der leider den Hauptgrund abbildet, warum das Budget für Arbeit nicht für alle in Werkstätten beschäftigten Menschen eine Alternative darstellen kann. Größere freiwirtschaftliche Betriebe oder auch Industrieunternehmen haben da oft einen besseren finanziellen und strukturellen Spielraum und können, aufgrund eines hohen Grades an funktionaler Differenzierung, ihre Arbeitsprozesse besser anpassen. Kleine Betriebe, selbst wenn wirtschaftlich gut positioniert, müssen die Gesamtarbeitslast sowie alle zu erledigenden Aufgaben auf wenige Schultern verteilen – da kommt auf den Einzelnen einfach mehr zu. Öffentliche Einrichtungen und Behörden arbeiten mit Personalbudgets und haben keine klassischen Erträge, die für die Beschäftigung von Budgetnehmer*innen „einfach so" eingesetzt werden könnten. Und auch Inklusionsbetriebe arbeiten da mit begrenztem Spielraum und müssen zudem einem hohen Personalanteil von Beschäftigten mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen gerecht werden.

kobinet-nachrichten: Welche Regelungen sind für das Budget für Arbeit hilfreich und welche hinderlich?

Karsten Lutz: Sehr hilfreich ist die Regelung, dass ein Rückkehrrecht in die WfbM für Budgetnehmer*innen bestehen bleibt. Nicht nur für diese selbst bietet diese Regelung eine größtmögliche Sicherheit, sondern auch als Argument für den Betrieb. Unsere Erfahrungen belegen, dass es dabei nicht um die Möglichkeit geht, Budgetnehmer*innen bei auftretenden Problemen wieder entlassen zu können, sondern vielmehr um die Sicherheit, dass die Menschen nicht ohne Auffang, nicht ohne Unterstützung, dastehen, falls das Arbeitsverhältnis, aus welchen Gründen auch immer, beendet werden muss.

Weniger hilfreich, bzw. auch nicht wirklich zu verstehen, ist die Tatsache, dass das Niveau der eingezahlten Rentenbeiträge beim Wechsel in das Budget für Arbeit in einen Inklusionsbetrieb auf der Höhe verbleibt, wie auch in der WfbM – also so hoch, „als ob man 80 % der jeweils geltenden Bezugsgröße verdienen würde", diese Beiträge beim Wechsel in einen „Nicht-Inklusionsbetrieb" jedoch auf das Niveau des tatsächlichen Bruttoverdienstes reduziert werden. Das ist eine Schlechterstellung innerhalb der Gruppe der Budgetnehmer*innen, die sich meines Erachtens nicht wirklich begründen lässt.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche in Sachen Budget für Arbeit frei hätten, welche wären das?

Karsten Lutz: Ich würde mir sehr wünschen, dass für körperbehinderte Menschen mehr in Sachen Arbeit getan wird! Und das schon länger. Diese Personengruppe ist meines Erachtens signifikant benachteiligt, insbesondere da barrierefreie Budgetplätze mit geeignetem Tätigkeitsangebot, wie zum Beispiel Büro- und Verwaltungsarbeiten oder auch Empfangs- und Pförtnerstellen, aufgrund Digitalisierung und Rationalisierung sehr rar sind. Und wenn sich mal vereinzelt eine Chance öffnet, dann kommt das Mobilitätsthema hinzu: Wird eine Individualbeförderung benötigt, kostet die im Monat weitaus mehr, als die Betroffenen im Rahmen des Budget für Arbeit verdienen würden. Da das Budget für Arbeit eine Maßnahme der Eingliederungshilfe und nicht die der Arbeitsverwaltung ist und da die Gesamtkosten für das Budget für Arbeit die Höhe der ansonsten anfallenden Werkstattkosten nicht übersteigen dürfen, werden in der Regel keine weiteren Hilfen, weder durch die Eingliederungshilfe, noch durch die Arbeitsverwaltung, bewilligt.

Und ein weiterer Wunsch meinerseits ist, dass sich, sozialpolitisch gesteuert, noch mehr am Arbeitsmarkt tut, um eine höhere Anzahl an Chancen zu generieren. Insbesondere für den Personenkreis der Menschen, die in Werkstätten beschäftigt sind. Es ist verkürzt, wenn behauptet wird, es wurde bisher seitens der Werkstätten, der IFD oder sonstigen Institutionen zu wenig getan – wenn ein inklusiver Arbeitsmarkt sozialpolitisch gewollt ist, und das hat Deutschland in der UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben, dann braucht es ebenso arbeitsmarktpolitisch neue Ideen und Regelungen, die mehr und bessere Chancen für Menschen mit Beeinträchtigungen schaffen!

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.